Besonders im eng getakteten S-Bahn-Verkehr zählt jede Sekunde. Moderne Mobilität heißt, alles auszuprobieren, was unsere Qualität verbessert. Die dynamische Wegeleitung mit Leuchtstreifen verbessert nicht nur den Kundenservice am Bahnhof, sondern soll auch zu lange Haltezeiten vermeiden.
Dr. Dirk Rothenstein, Vorsitzender S-Bahn Stuttgart
Weil die Infrastruktur vielerorts an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt ist, wird die stetig wachsende Anzahl an Fahrgästen zu einer immer größeren Herausforderung für die Betriebsqualität von S-Bahnen. Insbesondere zu Stoßzeiten, wenn durch die enge Zugtaktung nur eine begrenzte Zeit für das Ein- und Aussteigen verbleibt, kommt es durch die hohe Anzahl von Reisenden an den Bahnsteigen zu Zeitverzögerungen bei der Zugabfertigung. Ziel des Projekts Leuchtende Bahnsteigkante der Stuttgarter S-Bahn ist es, das Einstiegsverhalten am Bahnsteig zu verbessern und so die Zughaltezeiten zu verkürzen.
Dafür wurde ein Leuchtbetonstreifen mit eingegossenen Lichtwellenleitern am Bahnsteig eingebaut, der signalisiert, wo für die Fahrgäste die günstigste Warteposition ist. Vor Einfahrt einer S-Bahn wird auf der gesamten Länge des Bahnsteiges mit Leuchtmustern angezeigt, wo der Zug hält, wie lang der Zug ist und wo sich seine Türbereiche befinden. Kombiniert mit einer Messung der aktuellen Zugauslastung via datenschutzkonformer Bildauswertung wird bei Modellzügen die Platzbelegung in Echtzeit durch unterschiedliche Farbgebung angezeigt.
Unser Lichtfaserbeton zeigt Symbole, die intuitiv verständlich sind und mit denen sich Fahrgäste besser orientieren können. Dank der innovativen Software unseres Londoner Partners OpenCapacity können wir Fahrgästen am Bahnsteig auch anzeigen, in welchen Wagen es noch freie Plätze gibt.
Vincent Genz, Geschäftsführer von SIUT
Gut zu wissen
- Der Prototyp der Leuchtenden Bahnsteigkante wird auf dem 210 Meter langen Bahnsteig in Bad Cannstatt getestet.
- Für die Analyse der Auslastungsdaten werden Technologien der Datenanalyse wie das überwachte maschinelle Lernen und künstliche Intelligenz genutzt.
- Zukünftig soll die Technologie Aufschluss über ungenutzte Zugkapazität, Ein- und Aussteigemuster sowie Einflüsse durch externe Parameter wie Wetter oder Veranstaltungen geben
Interview mit Dr. Dirk Rothenstein, Vorsitzender der Geschäftsleitung, S-Bahn Stuttgart
Wie kamen Sie auf die Idee, dass die Welt Ihr Projekt braucht?
Die Infrastruktur der S-Bahn Stuttgart ist an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt. Auf der sogenannten Stammstrecke ist auch in der Hauptverkehrszeit nur eine Zugfolge von mindestens 2,5 Minuten möglich. Damit bleibt beim Halt an den Stationen auch nur eine begrenzte Zeit für das Ein- und Aussteigen. Bei der engen Taktung führt jede Zeitüberschreitung einer S-Bahn zu Folgeverspätungen. Die Leuchtende Bahnsteigkante wurde als Lösung für genau dieses Problem im Rahmen des Start-up-Förderprogramms der Deutschen Bahn in der „DB mindbox“ in Berlin gemeinsam mit dem Start-up SIUT für die erstmalige Anwendung bei der S-Bahn Stuttgart entwickelt. Mit der deutschlandweit erstmaligen Verprobung von Lichtfaserbeton und der intelligenten Steuerung einbetonierter LEDs in einem Bahnsteig wollen wir das Einsteigen ordnen, um ohne Verzögerungen abzufahren, und dabei mit der dynamischen Wegeleitung mit Leuchtstreifen den Fahrgästen einen zusätzlichen Service bieten.
Welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung?
Die Leuchtende Bahnsteigkante ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir ein wenig umdenken müssen, wenn wir die Chancen nutzen wollen, die uns die Digitalisierung bietet. Das gilt für alle an dem Projekt Beteiligten, aber auch für unsere Fahrgäste. Bisher hatten alle Services, die wir im Bahnalltag eingesetzt haben, den Charakter, irgendwie ausgereift zu sein. Das ist jetzt anders. Die dynamische Wegeleitung mit Leuchtstreifen wollen wir im Realbetrieb weiterentwickeln. Dafür muss man um Verständnis werben . Zum Beispiel haben wir uns im laufenden Testbetrieb intensiv damit beschäftigt, für die Fahrgäste intuitiv verständliche Anzeigen zu entwickeln, und haben viel ausprobiert.
Wo sehen Sie Ihr Projekt in zwei Jahren?
Wir haben den Testbetrieb, den wir zunächst von Februar bis August 2018 vorgesehen hatten, bis Ende des Jahres verlängert. Bis dahin wollen wir ausgewertet haben, wie sich die Leuchtende Bahnsteigkante bewährt und in welchem Ausmaß sie zur Stabilität der Betriebsqualität der S-Bahn beitragen kann. Insbesondere in Kombination mit der Auslastungsmessung in den Zügen, die über die Leuchtende Bahnsteigkante den Fahrgästen auch die aktuellen Platzverhältnisse im Zug anzeigen soll, können wir dem Fahrgast einen großen Mehrwert bieten. Wir würden uns deshalb freuen, wenn wir in Zukunft die dynamische Wegeleitung auch an anderen Stationen einsetzen könnten.
Foto: Andreas Varnhorst